Politikwechsel Der kleine Unterschied

Köln, 31.03.2011

Kaum zu glauben: Auf den Reaktorunfall in Japan reagiert die Bundesregierung im Nu und wechselt ihre Atompolitik von heute auf morgen. Die Finanzkrise hingegen hat sie seinerzeit geradezu in Starre versetzt: Sie hat aufgeregt reagiert, aber kaum regiert. Die Banken konnten schon bald munter weiter machen wie bisher.

Warum stoßen die Manager der Energiekonzerne in Fragen der Atomenergie plötzlich bei Politikern auf taube Ohren, während die Banker jede einschneidende – gegen ihre Interessen gerichtete- Reform durch die Politik abblocken können? Das hat vor allem etwas mit den Bürgern zu tun. Die Atomenergie berührt die Urängste der Menschen in Deutschland. Kein Thema hat in der Geschichte der Bundesrepublik so viele Menschen auf die Strassen getrieben. Mit den Grünen ist gar eine Partei aus der Bewegung entstanden. Diese Bewegung - und nicht die Politiker - haben die Argumente der Energiekonzerne für die Atomenergie entzaubert. Jeder weiß heute: Atomenergie ist eine Geldverdienmaschine für Energiekonzerne wie RWE, EON oder ENBW. Kein Bürger glaubt mehr an die Mär vom billigen Atomstrom.

Die Bilder aus Japan haben den Bürgern - wie schon seinerzeit bei Tschernobyl – eindrücklich vor Augen geführt, was die Folgen einer Atomkatastrophe sind. Rund um die Uhr werden über Internet und Fernsehen Bilder verbreitet: Die Zuschauer erlebten die Unfähigkeit von Politik und Kraftwerksbetreiber die Situation in den Griff zu bekommen. Die Bilder haben bei den Menschen eine gehörige Wut darüber entfacht, dass die deutschen Politiker uralte Atommeiler immer noch haben laufen lassen. Hunderttausende demonstrierten.

Was für blasse Bilder liefert dagegen eine Finanz- und Bankenkrise – ein Grund dafür, dass über die Finanzkrise zunächst einmal vergleichsweise wenig im Fernsehen berichtet wurde. Fakt ist: Als die Bundesregierung verkündete, sie werde mit Milliarden von Steuergeldern marode Banken retten, da blieben die Menschen in Deutschland daheim. Dabei war sofort klar: die Finanzkrise werden die Bürger auf dem Konto spüren. Von der Atomkatastrophe in Japan sind die Menschen in Deutschland dagegen gar nicht direkt betroffen.

Die Energiebosse haben es mit ihren Sonderinteressen auch schwer, weil jeder Bürger weiß – es gibt Alternativen zum Atomstrom. Wir können Strom mit Sonne, Gas oder Wind herstellen. Dagegen lassen sich die meisten Bürger immer noch von vielen Bankiers und Politikern einreden, dass große Banken besonders schützenswert sind. Sie gelten als systemrelevant, was bedeutet: wenn eine große Bank oder Versicherung pleite geht, könnte sie die Wirtschaft in den Abgrund reißen. Das mag sein, aber es gibt trotzdem Alternativen. Wenn die volkswirtschaftlichen Kosten großer Banken höher sind als ihre Gewinne – dann könnte man diese Banken zerschlagen, so wie man es in den 1930er Jahren nach der großen Depression schon einmal in den USA gemacht hat. Was wir brauchen ist eine Entzauberung der Banken und mehr Druck auf die Politik, damit sie die Interessen der Allgemeinheit über die Sonderinteressen großer Finanzinstitute stellt.

Radiokommentar im WDR, 31.03.2011

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