Buchbesprechung Marianna Mazzucato: Wie kommt der Wert in die Welt?

Eine Besprechung des Buches von Marianna Mazzucato können Sie hier beim DLF nachhören und hier nachlesen.

Zitatorin

„Die Leute von Goldman Sachs gehören zu den produktivsten der Wert.“

Autor

Behauptete der Chef von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, im Jahr 2009. Da hatte die Investmentbank gerade eine der schlimmsten Finanzkrisen mitverursacht, bei der Werte in gigantischem Ausmaß zerstört worden waren. Trotzdem rechtfertigen Wirtschaftsakteure ungebrochen die ungleiche Verteilung mit der gleichen Erzählung, ärgert sich die Ökonomin Mariana Mazzucato unter anderem mit Blick auf Finanzfirmen sowie Pharma- und High-Tech-Unternehmen: Weil sie Neues wagten, Risiken eingingen, produktiv seien und Wohlstand schaffen, hätten sie ein höheres Einkommen verdient als all die anderen Leute, die nur von ihrem Tun profitierten. Aber das hält Mazzucato in dieser Einseitigkeit für ein Märchen. Die italienisch-amerikanische Wissenschaftlerin Mariana Mazzucato, die am University College London zu Innovationsökonomie forscht, geht deswegen in ihrem Buch der Frage nach: „Wie kommt der Wert in die Welt?“. Sie schreibt:

Zitatorin

„Das Buch, das sie in den Händen halten, beschäftigt sich mit einem modernen Mythos über die Wertschöpfung in der Wirtschaft. Diese Art von Mythenbildung, so mein Argument, hat zu einer Wertabschöpfung von ungeheurem Ausmaß geführt, die einigen Wenigen immensen Reichtum beschert, die Gesellschaft allgemein jedoch Wohlstand gekostet hat. Sinn und Zweck dieses Buches ist es, diesen Stand der Dinge zu ändern und das zunächst einmal durch eine Wiederbelebung der Wertdebatte, die früher im Herzen ökonomischen Denkens stand – und meiner Ansicht nach dort auch wieder hingehört.“

Autor

Und dann schildert Mazzucato ausführlich wie die Wegbereiter der Ökonomie, allen voran Francois Quesnay, Adam Smith und Karl Marx, die Frage beschäftigte, welche Akteure Wohlstand schöpfen und welche Wohlstand nur abschöpfen oder sogar zerstören. Nur wenn Akteure Werte schafften, sprachen sie von Gewinn, eine Umverteilung von Werten bezeichnete sie dagegen als Renten. Aber die Ökonomen konnten sich auf keinen objektiven Wertmaßstab einigen, schreibt Mazzucato. Spätere Ökonomen gaben deswegen das Unterfangen auf und entschieden sich für einen anderen Ansatz. Den Neoklassikern zufolge ist der Wert einer Sache von der subjektiven Bewertung der Individuen abhängig, also dem Preis, den jemand für eine Sache zu zahlen bereit ist. Auf der Prämisse basieren die Modelle der heutigen Mainstream-Ökonomie, mit Folgen.

Zitatorin

„Renten gelten ihnen nicht länger, wie den klassischen Ökonomen, als unverdientes Einkommen, sondern als Mängel, die der Wettbewerb beseitigen kann. Sich selbst überlassen, ist der Kapitalismus ihrer Ansicht nah in der Lage, maximalen Wert für alle zu schaffen, was dann auch bequemerweise genau das ist, was ein jeder verdiene.“

Autor

Mit fatalen Folgen für die Allgemeinheit, findet Mazzucato und beschreibt dies plastisch anhand der Preisfestsetzung für Medikamente. Wenn etwa ein Pharmaunternehmen den Preis eines neuen Medikaments nicht davon abhängig mache, was dessen Entwicklung und Herstellung gekostet habe, sondern davon, was die Erkrankung eines Einzelnen die Gesellschaft koste. So werden astronomische Preise gerechtfertigt, etwa 94.500 US-Dollar für eine dreimonatige Hepatitis-Behandlung mit Pillen. Mazzucato schreibt:

Zitatorin

„Worauf freilich niemand hinweist ist, dass das Prinzip einer Spezialarznei den Kosten ihrer Ersparnisse für die Gesellschaft entsprechen sollte, von Grund auf falsch ist. Wollten wir ein derartiges Prinzip erst nehmen, müssten völlig alltägliche Therapien oder Impfstoffe ein Vermögen kosten. Und wo wir schon dabei sind: Was müsste Wasser kosten angesichts seines Wertes für die Gesellschaft oder die Menschheit an sich?“

Autorin

Den Stein der Weisen hat Mazzucato in der Wertfrage nicht parat. Aber sie legt sehr überzeugend dar, warum es essentiell ist, sich trotzdem mit der Wertfrage zu beschäftigen. Sie schildert sachkundig, plastisch und detailreich Mechanismen, die eigentlich von der Gesellschaft geschaffen worden sind, um Innovationen zu fördern und damit Wohlstand zu schaffen, aber von Akteuren missbraucht werden, um Wert abzuschöpfen, etwa Patente. Die Ökonomin rückt in ihrem wichtigen Buch die Verhältnisse Seite um Seite gerade und geht dabei wohltuend differenziert vor. Für viele Leser überraschend dürfte die zentrale Rolle sein, die Mazzucato dem Staate für Innovationen attestiert. Damit kommt das Buch goldrichtig, angesichts der neu entfachten Debatte über Sinn und Unsinn von Industriepolitik. Märkte entstünden nicht von alleine, so Mazzucato, sondern würden vielmehr von der Gesellschaft geformt und seien Ergebnisse von Prozessen mit zahlreichen Akteuren in einem spezifischen Kontext.

Zitatorin

„Wie wir gesehen haben, war selbst Adam Smith der Ansicht, dass Märkte zu formen sind. Im Gegensatz zur modernen Interpretation seines Werks im Sinne des Laisser-faire – den Markt machen lassen –, bestand seiner Auffassung nach die richtige Art von Freiheit keineswegs in der Abwesenheit des Staates als ordnender Instanz, sondern vielmehr in der Befreiung von den Renten. Smith wäre verdutzt gewesen ob unserer Auffassung von wirtschaftlicher Freiheit als einem Minimum an staatlicher Aktivität.“

 

Autor

Die Autorin entlarvt die Erzählung vom Markt als alleinigem Wohlstandsschaffer und Staat als Wohlstandsverzehrer als Märchen. Nicht dem Markt, sondern dem Staat komme beispielsweise in der Frühphase von Innovationen eine Schlüsselrolle zu, weil er unter anderem die Ausbildung von Menschen ermögliche, Institutionen für die Grundlagenforschung schaffe oder die Finanzierung aus Steuergeldern stemme. Unternehmer und Risikokapitalgeber träten dagegen meist erst später auf den Plan und schafften dank der vom Staat ermöglichten Grundlageninnovation neue Produkte, so Mazzucato – sie verweist auf Apple mit seinem IPhone oder Tesla und das Elektroauto.Die Wissenschaftlerin überzeugt mit ihrer differenzierten Sicht der Dinge. Ohne eine starke öffentliche Hand werden wir die notwendigen Innovationen für eine zukunftsfähige Wirtschaft nicht schaffen. Das ist die Hauptbotschaft von Mazzucatos gut empirisch unterfüttertem Buch.

 

 

 

Deutschlandfunk, 16.04.2019