Buchkritik Der Dritte Weg

Köln, 25.06.2010

Die Weltwirtschaftskrise zieht Kreise: Zuerst verloren Immobilienbesitzer in den USA ihr Heim, dann viele Beschäftigte in den Industrieländern ihren Arbeitsplatz. Und schon bald dürften viele Sozialeinkommensbezieher in Deutschland weniger Geld haben, weil die Regierung spart. Bislang schauen die Bürger dem Treiben ziemlich gleichgültig zu. Süddeutsche Zeitung

Allerdings könnte die Stimmung kippen, wenn Manager und Politiker ihre eingefahrenen Handlungsmuster beibehalten, schreibt Peter H. Grassmann. Er fürchtet, „dass (dann) das ganze System freien Wirtschaftens, ja selbst der repräsentativen Demokratie, von der Wut der Allgemeinheit weggeschwemmt wird“. Grassmann zieht Parallelen zum gesellschaftlichen Zustand vor der Französischen Revolution, als die feudalistischen Eliten die Massen ausbeuteten und sich die Schere zwischen Reich und Arm weiter öffnete.

Grassmann plädiert in seinem faktenreichen und sehr persönlichen Buch für einen dritten Weg, bei dem die Bürgergesellschaft, vermittelt über die Nichtregierungsorganisationen (NGO), mehr Einfluss auf die Wirtschaft erhält. NGOs sollen ihr Wissen in die Unternehmen transportieren, so wie dies die Beschäftigten über Betriebsräte und Gewerkschaften schon lange tun. Ob das der IWF ist, Greenpeace oder Transparency International. Sie haben den „anderen Blickpunkt“ und dieser sollte sich mit dem Fachverstand der Wirtschaft mischen, meint der Autor. Gemeinsam sollen sie mit der Wirtschaft Werteverpflichtungen schaffen, die für jedes Geschäft gelten, wie das Achten der Menschenwürde am Arbeitsplatz, Klimaschutz oder Steuerehrlichkeit.

Ursprünglich wollte Grassmann Wissenschaftler werden und promovierte bei Werner Heisenberg, einem der bedeutendsten Physiker des 20. Jahrhunderts. Er entschied sich jedoch für die Industrie: In der Siemens-Medizintechnik stieg er zum Vorstand für bildgebende Systeme auf, später wechselte er zur Firma Carl Zeiss. Er hat die Privilegien eines Managers gehabt, verdiente gut und reiste durch die Welt. Aber er behielt seinen wissenschaftlichen Blick und ein Empfinden für soziale Fehlentwicklungen bei – dies spürt man beim Lesen des Buches. Über die wirtschaftlichen Realitäten war er immer öfter schockiert.

Der Autor ist davon überzeugt, dass Staaten die Schwächen der Marktwirtschaft nicht mehr allein ausgleichen können. Grassmann sieht in wertebasierten Selbstverpflichtungserklärungen der Industrie und einer größeren Rolle der Nichtregierungsorganisationen ein Kernelement für einen dritten Weg. Einen Weg zwischen dem real existierenden Kapitalismus und dem ehemaligen Staatssozialismus. Er zieht eine interessante Parallele zur sozialen Situation in den Kindertagen der Industriegesellschaft und der Rolle der Gewerkschaften. „Eine breite, aber unkoordinierte Unzufriedenheit, ein unwilliger Gesetzgeber, komplexe, unterschiedliche Situationen, aber letztlich ein gemeinsames Thema“, dies sieht er als Nährboden an für die Arbeiterbewegung, dies sich später die betriebliche Mitbestimmung erstritten hat. Grassmann überträgt das Modell der betrieblichen Mitbestimmung auf eine Mitbestimmung der Zivilgesellschaft bei Unternehmen.   

Grassmann stand mit seinen Ansichten unter Managern ziemlich alleine da. Andere hätten ihn belächelt. Und so behielt er seine Einschätzung leider lange für sich. Erst nach dem Platzen der Finanzkrise, die Banken und nun Staaten an den Abgrund brachte, traut er sich als Pensionär an die Veröffentlichung seiner Gedanken – es lohnt sich trotzdem für den Leser.

Peter H. Grassmann: Burn out. Wie wir eine aus den Fugen geratene Wirtschaft wieder ins Lot bringen. Oekom Verlag, München 2010. 149 Seiten. 14,90 Euro.

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