Interview Gewerkschaften müssen zusammenarbeiten

Liechtenstein, 09.10.2017

Zum Tag der menschenwürdigen Arbeit habe ich auf Einladung der Gewerkschaft in Liechtenstein einen Vortrag gehalten über mein Buch Profitgier ohne Grenzen. Anlässlich dessen erschien ein Interview mit mir im Volksblatt.

Dohmen: «Gewerkschaften müssen

über die Grenzen zusammenarbeiten»

Arbeit Heute ist der Welttag für menschenwürdige Arbeit, das Motto lautet «Stopp der

Profitgier». Wirtschaftsexperte und Autor Caspar Dohmen spricht in Schaan zum Thema.

VON SILVIA BÖHLER

«Volksblatt»: In Liechtenstein ist oft zu hören: «Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut.» Ist das ein Märchen?

Caspar Dohmen: Ja, jedenfalls eine solche Verallgemeinerung. Die Globalisierung der Wirtschaft hat einen unglaublichen Reichtum produziert, von dem wenig unten ankommt. Der Gewinn der grössten 30 000 Unternehmen hat sich von 1989 bis 2015 verfünffacht, während sich ihre Umsätze im gleichen Zeitraum nur verdoppelt haben. Die enormen Kostensenkungen haben einige Ursachen, eine wichtige ist die Verlagerung von Produktion in Regionen, wo Mensch

und Umwelt hemmungslos ausgebeutet werden.

Viele Menschen wissen um die schlechten Arbeitsbedingungen von etwa Näherinnen in Billiglohnländern, oder der Kinderarbeit bei der Kakaogewinnung. Sie kümmern sich dennoch nicht darum.

Caspar Dohmen: Das stimmt – andererseits kämpfen Menschen für bessere Arbeitsbedingungen. Nur dank des jahrzehntelangen Engagements der Kampagne für saubere Kleidung wird das Thema der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie heute breit diskutiert. Es gibt auch Unternehmen, die

fairer und umweltschonender Kleidung produzieren, und Verbraucher, die bei ihnen einkaufen. Es geht also anders. Das zu zeigen ist schon enorm wichtig. Aber die Mainstream- Wirtschaft – egal ob Unternehmen oder Verbraucher – wird sich erst anders verhalten, wenn sie durch Gesetze dazu angehalten

wird. Dafür bedarf es der politischen Auseinandersetzung.

Das Thema des diesjährigen Welttages für menschenwürdige Arbeit lautet «Stopp der Profitgier: Die Welt braucht eine Lohnerhöhung». Wer soll das Ihrer Meinung nach in die Hand nehmen?

Caspar Dohmen: Jeder Einzelne ist machtlos, deswegen gibt es ja Gewerkschaften. Heute müssten Gewerkschaften eigentlich grenzüberschreitend zusammenarbeiten, wenn sie bessere Arbeitsbedingungen und eine höhere Entlohnung entlang der Produktionsketten erreichen wollen. Genauso wichtig ist es, dass Beschäftigte Politiker unterstützen, welche ihre Rechte stärken.

Es gibt bereits zahlreiche Gesetze (zuvorderst die Menschenrechte, die 1948 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet wurden), die eine menschenwürdige Arbeit regeln sollen, warum kümmert sich niemand darum?



Caspar Dohmen: Heute ist es in Mitteleuropa ungefährlicher, in einer Fabrik zu arbeiten, als Hausarbeit zu erledigen. Es hat sich also einiges getan. Aber natürlich sieht es in vielen Regionen ganz anders aus. Das liegt teils an der Ignoranz der Eliten, an den wirtschaftlichen Machtverhältnissen

und den fehlenden Sanktionsmöglichkeiten. Die Welt sähe anders als, wenn Beschäftigte ihre Arbeitgeber oder Staaten vor internationalen

Schiedsgerichten wegen Arbeitsrechtsverstössen verklagen könnten.

Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch – Stichwort Digitalisierung. Welche Auswirkungen/Risiken sehen Sie für die Anliegen einer menschenwürdigen Arbeit?

Caspar Dohmen: Wir reden viel über Roboter und Algorithmen, die menschliche Tätigkeiten übernehmen werden, das ist im Prinzip ein Segen. Weniger sprechen wir darüber, dass sich dank der digitalen Fortschritte immer mehr Tätigkeiten standardisieren, zerlegen und global an diejenigen vergeben

lassen, die es am billigsten machen. Von dieser Taylorisierung der Kopfarbeit werden auch viele Menschen in Europa betroffen sein, die anspruchsvolle

Tätigkeiten ausüben, beispielsweise Ingenieure. Hier droht ein brutaler Wettbewerb.

Welchen Einfluss haben die Gewerkschaften?

Caspar Dohmen: Von den weltweit rund 2,9 Milliarden Arbeitnehmern sind nur 200 Millionen in einer freien Gewerkschaft organisiert, also nicht einmal

7 von 100 Arbeitnehmern. Gewerkschaften sind nicht nur in Ländern schwach, wo Diktaturen sie unterdrücken, sondern sie verlieren auch in den alten Demokratien an Zuspruch. Aber Gewerkschaften haben in einzelnen Ländern und Branchen noch einen enormen Einfluss, wie die IG Metall in der Automobilindustrie in Deutschland. Andernorts entfalten Gewerkschaften in Bündnissen mit der Zivilgesellschaft neue Kraft, wie beispielsweise bei der Bewegung für einen einheitlichen Mindestlohn von 15 Dollar in den USA. Die eigentlich notwendige Stärkung der Gewerkschaften wird nur geschehen,

wenn sich wieder mehr Menschen an ihnen beteiligen.